Charlotte Brandi

An den Alptraum

Künstlerin: Charlotte Brandi
Album: An den Alptraum
VÖ: 10.02.23
Label: Listen Records
Website: https://www.charlottebrandi.com/
(c) Slider-Foto: Annika Weertz

Bearbeitet: @daniela.duessler

Zwei Jahre nach der EP “An das Angstland” veröffentlicht Charlotte Brandi am 10. Februar 2023 ihr zweites Studioalbum “An den Alptraum”. Und damit nicht nur ihren ersten deutschsprachigen Longplayer, sondern auch ein rein unter FLINTA-Beteiligung produziertes Werk. Es geht um Männer, Frauen, die Angst, das Geld, den Tod und den Beitrag zur Revolution. Diese Platte jedenfalls ist einer.

Die Entscheidung, das Album nur mit weiblichen oder weiblich gelesenen Personen umzusetzen, war eine gegen die Bequemlichkeit und für den überfälligen Paradigmenwechsel in der Musikwelt. “Kulturelle Neubesetzung wird nicht aus Komfort geboren und meines Wissens nach gibt es ein rein weiblich produziertes Album auf dem deutschen Markt noch nicht. Und wäre ich heute 14, würde ich dadurch lernen, dass es geht”, sagt Charlotte Brandi. Hinter diesem Idealismus steht auch eine Künstlerin, die keinen Bock mehr auf Machtkämpfe im Studio mit männlichen Kollegen hat. “Ich habe mich während der Albumproduktion zum ersten Mal kein einziges Mal gefühlt wie ein kleines Mädchen”, sagt Brandi über ihre Früchte konsequenter feministischer Prozessoptimierung.

Die stilistische Bandbreite reicht von einem A-Capella-Chor im Opener “Der Ekel” über Jodel-Interpretationen zu klassisch amerikanischem Fingerpicking in “Todesangst”, das hier gekonnt die beunruhigenden Lyrics auffängt: “​​Wie ein Blutgerinnsel liegt die Angst hinter meiner Stirn/ Du machst nicht den Eindruck, als könnt’ uns nichts passier’n”. Brandi zieht wie keine Zweite alle Register des Art-Pop und beweist damit einmal mehr, dass es in der hiesigen Musiklandschaft keine*r mit dieser Vielseitigkeit und ungebremsten Neugier gibt wie sie. Auch ihre schon immer beeindruckende Stimme erreicht auf “An den Alptraum” neue Freiheit und damit Facettenreichtum. Sie flattert, kratzt, stürzt ab, berappelt sich, brilliert ganz oben oder kommt von einem Ort ganz dunkel, ganz unten wie das tiefe Seufzen am Anfang von “Frau”. Diese Brüche und Facetten sind fein und wichtig, das Album atmet und pulsiert dank der Entscheidung, diesen Ungeschliffenheiten ihren Raum zu lassen. Der Brandi-Sound ist zeitlos und stets unter voller Kontrolle, aber nie glatt und umschifft alle Möglichkeiten, sich dem Zeitgeist anzubiedern.

Immer wieder blitzt zwischen den messerscharfen Zeilen Brandis süffisanter, selbst-ironischer Humor durch. Die “laute Person mit markantem Gesicht”, wie sie in “Der Ekel” singt, schlägt sich damit durch’s Dickicht einer Welt voll gleichgeschaltetem Individualismus. Und findet dann doch immer wieder Trost, Hoffnung und Menschlichkeit. “Halte deine Formen länger nicht zurück/ Spuck sie aus die Sorgen/ Und flieg hinauf zum Glück”, heißt es in “Frau”. Überhaupt war der Wechsel zur deutschen Sprache ein Befreiungsschlag, sagt Brandi. Was schon in früheren Solowerken und bei ihrem ersten Projekt “Me and My Drummer” spürbar war, entfaltet sich hier zum ersten Mal in ganzer Größe: die Fähigkeit, von der größten bis in die kleinste Dimension zu erzählen und musikalisch wie textlich zu erfassen, was sonst schwer zu fassen ist.

Das augenzwinkernde Wortspiel im Titel verweist auf Entstehungsorte einzelner Songs am Alpenrand, aber auch auf “Eure Heimat ist unser Albtraum”, ein queerfeministischer Sammelband, der mit Deutschland und dem Heimatbegriff abrechnet. In vielerlei Hinsicht ist “An den Alptraum” ein Heimweg nach vorne. Oder zumindest der Anfang davon, die ersten Schritte auf unbefestigtem Gebiet, voller beschwingter Ungewissheit und rationalem Optimismus. Und das Manifest einer außergewöhnlichen Musikerin, die allem trotzt, dem es zu trotzen gilt. Trau dich, Baby, und steig ein.